„Wehret den Anfängen“. Vortrag von Dr. Eva Umlauf anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Auf den Spuren eines Fotos“

Janusz Korczak Haus München, 19. November 2014

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Wehret den Anfängen“ ist das Motto der diesjährigen Janusz Korczak Woche. Es bringt zum Ausdruck, dass barbarische Mörderregime wie der Nationalsozialismus nie mehr passieren mögen. Es appelliert an die Wachsamkeit und an die Verantwortung jedes Einzelnen für diese Gesellschaft.

Zu den wehrlosesten Opfern des nationalsozialistischen Vernichtungswahns gehören zweifellos die Kinder, insbesondere jüdische Kinder. Ihnen widerfuhr das Schlimmste, was Kindern widerfahren kann: Sie konnten nicht einmal mehr bei den eigenen Eltern Schutz finden … denn im barbarischen Tötungsinferno der Nazis waren die Eltern selbst wehrlose Opfer.

Auch diejenigen Kinder, die unter schwierigen Bedingungen überlebt haben – z.B. weil sie von mitfühlenden Menschen versteckt wurden -, tragen als Erwachsene bis heute schwer an diesen Traumatisierungen. Sie sind gezeichnet von dem Erlebten.

Es ist gut, mit der Ausstellung, die wir heute zum Beginn der Janusz Korczak Woche eröffnen, auch die überlebenden Kinder und ihre enorme Lebensleistung zu würdigen. Es ist gut, dass die Fotos als Ausgangspunkt für die Rekonstruktion ihrer belasteten Lebensläufe verwendet wurden. Es ist, als wären diese Menschen dadurch wieder gefunden worden.

Wie wichtig ein solches Wiederfinden ist, kenne ich aus eigener Erfahrung. Denn meine Mutter hatte bei der Befreiung des KZ Auschwitz nicht nur mich und meine Schwester, sondern auch einen 4-Jahre älteren in den Wirren hilflos zurückgebliebenen Jungen, Tommy, in ihre Obhut genommen. Mit großem Aufwand gelang es ihr, Verwandte des elternlosen Jungen ausfindig zu machen und das Kind seiner Großfamilie zurück zu geben. Danach haben wir nichts mehr von ihm gehört.

Mir war es ein großen Anliegen, diesen Tommy wieder zu finden. Mit der Unterstützung von Such-Organisationen und mit Hinweisen von vielen einzelnen HelferInnen haben wir vage Spuren gefunden, folgten ihnen und – nach 1 ½ Jahren – standen wir schließlich wieder im Kontakt zu ihm. Diesen Zeugen meiner eigenen Kindheit zu treffen, war wie die Linderung für eine offene Wunde. Dasselbe fühle ich bei der Ausstellung „Auf den Spuren eines Fotos“.

Aus meiner eigenen leidvollen Geschichte lernend mache ich es mir zur inneren Aufgabe, im täglichen Miteinander grundsätzlich achtsam, mitfühlend und wachsam zu sein. Ich gebe der Würde der Menschen in unserer Gesellschaft in jedem Augenblick einen hohen Stellenwert. Vor diesem Hintergrund habe ich mich sehr geehrt gefühlt, diese Eröffnungsworte heute hier zu Ihnen sprechen dürfen.