Rezension zu Itzchak Belfers „Ein weißes Haus in einer grauen Stadt“

Abbildungen: Umschlag der deutschsprachigen
Ausgabe der Autobiografie Itzchak Belfers
„Ein weißes Haus in einer grauen Stadt“; Ausschnitt
aus dem Dokumentarfilm „The Last Korczak Boy“.

Das Team der Europäische Janusz Korczak Akademie erreichte diese Rezension des von der EJKA in der deutschen Übersetzung veröffentlichten Bandes von Itzchak Belfer „Ein weißes Haus in einer grauen Stadt“, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Belfers Autobiografie kann weiterhin unter info@ejka.org oder telefonisch 089 / 37946640 bestellt werden.

Englisches Original folgt der deutschen Übersetzung:

Buchrezension zu „Ein weißes Haus in einer grauen Stadt“ von Itzchak Belfer
von Dr. Robert Oppenheimer, Dezember 2016

Diese Darstellung eines jüdischen Kinderlebens in den 1920er und 1930er-Jahren in Warschau ist eine sehr bewegte und detaillierte Autobiographie eines hochbegabten Schriftstellers und Künstlers, der im Waisenhaus von Janusz Korczak und seinen Kollegen aufwuchs. Die Ausgabe beinhaltet viele Bilder Belfers vom Waisenhaus und seinen Bewohnern.

„Ein weißes Haus in einer grauen Stadt“ ist ein Titel für ein ganz besonderes Buch. Dieses beschreibt, an was für einem außergewöhnlichen Ort der Autor aufwuchs und wie Korczak und seine Mitarbeiter eine Oase der Hoffnung für die Kinder inmitten  des Leidens geschaffen haben. Belfer nimmt uns mit auf eine Reise in seine Vergangenheit, 80 bis 90 Jahre vor der heutigen Zeit. Er beginnt in seinem eigenen Haus, mit seiner Mutter und seinen Großeltern in Warschau, nachdem sein Vater verstorben war. Die Mutter blieb allein mit sechs Kindern, die alle damals noch zu Hause wohnten. Er fährt fort zu beschreiben, wie er in das jüdische Waisenhaus in der Krochmalna 92 ​​aufgenommen wurde, als er fast sieben Jahre alt war. Das erste Treffen von Belfer mit Korczak an seinem ersten Tag hat sich deutlich in seinem Gedächtnis eingeprägt; die Szene ist sehr liebevoll beschrieben.

Zahlreiche Beschreibungen des Lebens der Kinder im Waisenhaus, der Rolle von Korczak und seiner engen Kollegin Fräulein Stefa sowie der anderen Mitarbeiter folgen. Korczak glaubte, dass Kinder als vollwertige Menschen anerkannt und mit Respekt behandelt werden sollten. Dies stand im Widerspruch zu der vorherrschenden Überzeugung der Zeit und ist sogar gemessen an zeitgenössischem Standard progressiv.

Belfer skizziert die Arbeitsweise des Kindergerichtshofes, welches allen Bewohnern des Waisenhauses die Möglichkeit bot, was sie als Ungerechtigkeit empfanden, zu begradigen. Darunter fiel auch das Recht eines Kindes, einen Erwachsenen, von dem er oder sie sich ungerecht behandelt gefühlt hat, „anzuklagen“ – damals wie heute fast schon unerhört.

Auch spricht er darüber, wie seine künstlerischen Fähigkeiten im Waisenhaus erkannt und gepflegt wurden. Er wurde von Korczak und Fräulein Stefa persönlich immer wieder ermutigt, man stellte ihm sogar Materialien und einen ruhigen Raum zum Malen und Zeichnen bereit. Ganz offensichtlich wollten Korczak und seine Mitarbeiter jedem Kind dabei helfen, sein volles Potenzial zu verwirklichen. Auch nach dem Auszug aus dem Waisenhaus mit 14 oder 15 Jahren behielten die Kinder Kontakt zum Waisenhaus und besuchten es regelmäßig. Im Laufe der Zeit kamen zu den Treffen sogar Ehepartner und eigene Kinder dazu.

Korczak half auch Itzchak, sein Stottern zu überwinden, und bewirkte, dass er von Referaten ausgenommen wurden, womit er sicherem Spott seiner Mitschüler entging. Diese besondere Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse eines jeden Kindes ist nur einer der beeindruckenden Aspekte des Kinderbetreuungsmodells von Korczak, obwohl ich die überaus traurige Feststellung hinzufügen möchte, wie ungewöhnlich es damals wie heute ist, sich um die Belange eines individuellen Waisen oder eines verlassenen Kindes zu kümmern.

Neben der Leitung des Waisenhauses beschreibt Belfer, wie beschäftigt Korczak aufgrund seiner Beteiligung an zahlreichen anderen Aktivitäten war. Dazu gehörten Verfassen von Büchern – sowohl für Kinder als auch über Kinder –, und Gerichtstermine zur Verteidigung straffällig gewordener Jugendlicher. Auch leitete er die Kinderabteilung samt Belegschaft an jungen Autoren und Redakteuren bei einer nationalen Zeitung, die polenweit verkauft wurde. Zudem referierte Korczak an der medizinischen Fakultät über die Bedürfnisse von Kindern und führten er und Fräulein Stefa regelmäßig Trainingsprogramme für jüngere Mitarbeiter im Waisenhaus durch. Später wurde ein zweites Waisenhaus für katholische Kinder gegründet, das Korczak ebenfalls beaufsichtigte.

Die ehemaligen Schützlinge Korczaks bezogen Führungspositionen in ihren Gemeinden, viele zogen nach Palästina und bildeten die Kibbuz-Bewegung, einige wurden Minister der polnischen Regierung. Tragischerweise war Belfer aus seiner Familie der einzige Überlebende des Holocausts. Als der Krieg begann, wurden die Kinder des Waisenhauses weiterhin, so gut es ging, im Warschauer Ghetto durch Korczak geschützt, bis seine 192 Kinder, zusammen mit Korczak und dem Rest seines Stabes, in Viehwagen nach Treblinka gebracht und dort ermordet wurden. Belfer hat viel von seinem Leben als Künstler seinem Mentor Korczak und den Kindern gewidmet.

Review of “White House in a Grey City” by Itzchak Belfer
By Dr. Robert Oppenheimer. December 2016.

This portrayal of a Jewish child’s life in the 1920s and 30s in Warsaw is a very moving and detailed autobiography by a gifted writer and artist who grew up in the orphanage run by Janusz Korczak and his colleagues and includes many pictures he drew of the orphanage and its inhabitants.

“White House in a Grey City” is an apt title for a very special book, describing what an extraordinary place the author grew up in and how Korczak and his staff created an oasis of hope for the children in their care in the midst of suffering. In it Belfer connects us with his own past some 80 to 90 years ago. He starts at his own home with his mother and grandparents in Warsaw after his father had died when Belfer was very young. This left his mother alone with six children, all of whom were still at home at the time. He goes on to describe how he was taken into the Jewish orphanage at Krochmalna 92 when he was almost seven years old. Belfer’s initial meeting with Korczak on that first day is clearly etched in his memory and is most lovingly described.

There are also rich descriptions of the children’s lives at the orphanage and of the roles of Korczak and his close colleague Miss Stefa and the other staff. Korczak believed that children should be recognized as full human beings and treated with respect, which was at odds with the prevailing beliefs of the time and progressive even by modern standards.

Belfer outlines the workings of the Children’s Court that offered all the inhabitants of the orphanage a chance to seek justice for perceived wrongs done to them, including the right for a child to accuse an adult of mistreating him or her, an almost unheard of concept at that time or indeed today.

He also talks about the way his artistic abilities were recognized and nurtured in the orphanage, by direct encouragement from Korczak and Miss Stefa and the provision of materials and a quiet space for him to paint and draw. Clearly Korczak and his staff intended to help each child realize their full potential in life. There was also a sustained opportunity for ongoing contact after they left the orphanage at 14 or 15, with regularly scheduled visits from former orphans which over time came to include their spouses and their own children.

Korczak also helped Itzchak overcome a serious stutter and protected him at school from being forced to make presentations to the class that would have set him up for ridicule by his peers. This attention to the detailed needs of each child is one of the impressive aspects of Korczak’s child care model, though I hasten to add it seems sad to recognize how unusual this was, both then and now, to show such care for the individual orphaned or abandoned child’s needs.

Besides running the orphanage Belfer describes how busy Korczak was due to his involvement in many other activities. These included writing books both for and about children, appearing in the courts on behalf of delinquent youth and running a children’s section of a national newspaper with a staff of writers and editors, all children themselves, all over Poland. In addition Korczak lectured on children’s needs at the medical school and he and Miss Stefa ran a training program for the younger staff at the orphanage. Finally there was a second such orphanage for Catholic children, that Korczak  also oversaw.

Graduates of Korczak’s orphanages went on to become leaders in their communities, many moved to Palestine and helped build the Kibbutz movement and some became ministers in the Polish government. Tragically Belfer was the only survivor if his family during the Holocaust, having gained his mother and Korczak’s blessing to flee Warsaw for the Soviet Union after the Nazi invasion of Poland. The children living in the orphanage when the war started continued to be protected by Korczak in the Warsaw Ghetto until August 1942 when 192 children were sent in cattle trucks to Treblinka, along with Korczak and the rest of his staff and murdered there. Belfer has dedicated much of his life as an artist to commemorating his mentor Korczak and the children.

Dr. Oppenheimer is a child psychologist living in Victoria BC with a strong interest in Janusz Korczak’s work going back almost 40 years, to when he came across Korczak’s story at the museum at Kibbutz Lohamei Hagetaot.