„In jedem Buchstaben, in jedem Bild.“ Katrin Diehl über Moran Haynal

„In jedem Buchstaben, in jedem Bild.“ Katrin Diehl über Moran Haynal

Vernissage „Shir HaShirim“ von Moran Haynals am 12. März 2015
Dr. Katrin Diehl: Mündlicher Vortrag

Liebe Freunde der Kunst, liebe Freunde der Schrift,

jedem Text liegt etwas Verführerisches zugrunde, man könnte auch sagen etwas Erotisches. Moran Haynals Bilder machen das überdeutlich. Überhaupt…, das Überdeutliche, das Genaue…, es greift nach uns. Aus Morans Bildern greift es nach uns. Das Überdeutliche, das Exakte ist eine Darstellungsform. Und eigentlich banal, wenn man sein Handwerk beherrscht. Etwas, was einem Schreiber, einem Kalligraphen, einem Sofer – und das ist Moran – abverlangt wird. Umso vernichtender wäre es, Morans Bilder darauf zu reduzieren. Ja, er kann wunderbar schreiben, illustrieren… Aber selbstverständlich geht es um mehr.

Moran Haynal, 1949 in Budapest geboren, kam über das Wort zum Bild, über den Buchstaben zur Kabbala und über die Schrift überallhin. Die Schrift, im eigentlichen und ureigentlichen Sinne, machte für ihn, den Maler, den Graphiker, den Kalligraphen, den Juden, den Weg frei. Als praktizierender religiöser Mensch hatte er eine Möglichkeit gefunden, seine Fähigkeiten mit seinem künstlerischen Ausdruck zu paaren und Bilder zu schaffen. Für einen denkwilligen, lebendigen, kreativen Menschen, für den Gesetzesgläubigen und -treuen besteht der Sinn von den religiösen Gesetzen nicht darin, sie zu befolgen, sondern sie zu erkennen. Wer sie erkennt, befolgt sie. Wer sie befolgt, hat sie erkannt.

Für den Thora-treuen Menschen gilt weniger der descartesche Satz „Ich denke, also bin ich“ als „Ich frage, also bin ich.“ Die Kabbala geht da noch weiter. Sie bezeichnet das Adam-Wesen als die Frage selbst (die letzte Silbe ist dann auch das Ma – die Frage „was?“).

Die permanente Überlagerung von Schrift, von Text und Abbild führt dazu, dass ein Trennen nicht mehr möglich ist. Dafür ist es am Ende des Schaffungsprozeß‘ zu spät. Text und Abbild zusammen ergeben das eigentliche Kunstwerk. Das bloße Gestaltungsprinzip zielt dennoch darauf ab, dass man ganz bewusst das Wahrnehmungserlebnis hat – hier dies – hier das – hier dies – hier das hat – ähnlich wie bei einem Vexierbild. Es lässt sich eben doch immer ganz klar räumlich trennen: hier Text und hier Abbild. Und dann stellt sich die Frage: Woher kommen diese Texte eigentlich, und in welcher Beziehung stehen sie zu den abgebildeten Menschen oder Gegenständen?

Diese Fragen lassen sich scheinbar schnell klären: Die Texte kommen zum Beispiel aus der Thora, wie bei dem Bild Shir haShirim oder es sind Liebesgedichte, Texte aus Liebesliedern heutiger israelischer singer songwriter. Moran setzte die passenden Motive dazu, schöne Frauen zum Beispiel. Aber noch einmal die Frage: Wo kommen diese Texte her in Relation zu den Abbildern?

Es gibt ja keine Comicblase aus dem Mund der Dargestellten. Der Text ist Teil des Dargestellten.

Die Textkomponenten liefern den Beweis, dass es Texte gibt, die man nicht liest und die man dennoch in ihrer Bedeutung wahrnimmt. Sie liefern den Beweis, das Buchstaben, Wörter, Texte eine Berechtigung haben, einen Eigenwert, auch ohne den lesenden, den verstehenden Menschen (es sei natürlich keinem von Ihnen genommen, sich daran zu machen, in den Haaren von Esther oder Sulamith zu lesen…). Haare! Haare und Buchstaben… Haare aus Buchstaben… oder sind es Buchstaben aus Haaren?

Jede Haarsträhne hat die Form des Buchstabens Waw sagt die Kabbala, das Haar ist ein Energieträger. Aus einem Haar lässt sich alles lesen, was es über einen Menschen zu sagen gibt.

1990 machte Moran Haynal mit Frau und zwei Kindern Alia. In Beth El wurde er durch das Studium der klassischen jüdischen Kalligraphie zum Sofer ausgebildet, der Thora-Rollen, Mesusot, Tefillin, Ketubot fertigen durfte. Damit konnte er in seiner großformatigen Malerei an eine Tradition anknüpfen. Er umging das häufig missverstandene Bilderverbot nicht, er entdeckte es für sich. Er erkannte.

Man kommt bei Moran nicht umhin über das Bilderverbot zu sprechen. Und ich könnte mir vorstellen, dass ihn das mittlerweile langweilt. Und was lässt sich da auch sagen? Sollte man ihn belehren? Er weiß ja wohl, was er tut, so wie das alle anderen jüdischen Künstler wissen und wussten.

Es soll um etwas anderes gehen und eigentlich ging es immer schon um etwas anderes.

Emanuel Levinas hat das Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen“ als den heiligen Wunsch verstanden, bei seinem Gegenüber nicht das Antlitz zu sehen, sondern von Seele zu Seele zu kommunizieren. Simone Weil hat ihre Menschheitsstudie in ganz jungen Jahren in den Satz gipfeln lassen: „Jedes Wesen ist ein stummer Schrei danach, anders gelesen zu werden.“ Morans Bilder müssen anders gelesen werden. Das Bilderverbot konstituiert seine Bilder mit. Es ist Thema seiner Bilder (damit gibt es eine starke Verbindung zur konkreten Kunst). Sicher, da ist der schon über Künstlergenerationen praktizierte Trick „Bilder zu schreiben“, ein schönes Beispiel für die berühmte jüdische Chuzpe. Da ist aber auch die Sicherheit, dass HaShem in allem ist. In jedem Buchstaben, in jedem Wort, in jedem Bild. Und da ist die Sicherheit, dass, was nicht dargestellt werden darf, auch gar nicht dargestellt werden kann.

Moran Haynal zitiert in seinen Bildern. Das Plakative der Pop-Art ist mehr als ein Zitat, es ist eine Strömung, in der er sich absolut zuhause fühlt und in der er zeichnerische, graphische und malerische Elemente geradezu kongenial verbinden kann. Das Reklamehafte zeigt ihn als Blickfänger (dem Kunststudium in Wien hatte Moran Haynal das der Kommunikation in Budapest angeschlossen). Jede anklingende Erotik versinkt in den Tiefen der Groteske, zumindest der der Dekadenz.

Vor einigen Jahren zog Moran Haynal nach München, der Liebe wegen. Er gründete eine neue, eine zweite Familie. In der Europäischen Janusz Korczak Akademie hat er bereits 2013 zum ersten Mal ausgestellt. Dass er es wieder tut, kann eigentlich nur Gutes bedeuten.

In seiner heutigen Ausstellung, der Werkschau mit dem Titel Shir HaShirim (Lied der Lieder), finden Sie auch Bilder, die an das gerade vergangene Purim-Fest sowie das jetzt anstehende Pessach-Fest anknüpfen. Das sind doch schöne Aussichten!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und

lassen Sie sich von Moran Haynals Bildern ergreifen. Noch besser: Ergreifen Sie eines und nehmen es mit nach Hause. Moran gibt über die daran geknüpften Bedingungen sicher gerne Auskunft.

Danke schön!

Katrin Diehl

Mündlicher Vortrag, gehalten am 12.03.2015 in der Europäischen Janusz Korczak Akademie München

(Moran Haynal - Love Songs)

(Moran Haynal – Love Songs)

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