Roman Haller 

Bei Romans Geschichte muss man weiter ausholen, denn sie begann bereits vor seiner Geburt. Der Wehrmachtsmajor Eduard Rügemer rettete, gemeinsam mit seiner polnischen Haushaltshilfe Irena Gut, zu der er auch eine Liebesbeziehung unterhielt, zwölf Personen aus dem Arbeitslager Tarnopol in Polen. Beiden war zu Ohren gekommen, dass das Arbeitslager in Kürze aufgelöst und alle Insassen verschleppt oder ermordet werden sollten. Das muss 1943 oder 1944 gewesen sein. 

Unter den zwölf Geretteten, die vorerst im Keller der Villa des Majors untergebracht waren, befanden sich auch Romans Eltern – seine Mutter hochschwanger. Als das Risiko einer Entdeckung im Keller der Villa zu groß wurde, zog die Gruppe in ein neues Versteck: ein Bunker, der sich in einem Waldstück außerhalb Tarnopols befand. Wo genau, das weiß Roman bis heute nicht. 

Die Geburt Romans rückte immer näher. Man beriet sich, was in dieser heiklen Situation zu unternehmen sei, denn jedem war bewusst: das Geschrei eines Neugeborenen würde eine Gefahr für alle darstellen. Es wurde auch diskutiert, ob man das Neugeborene gleich ersticken solle. Allerdings konnte sich die Gruppe zu einer solchen Tat nicht überwinden. Der Junge sollte am Leben bleiben. Ein Förster, den man vorher noch entsprechend unterrichtet hatte,  war bei der Geburt behilflich. Die verlief ohne Komplikationen und Roman Haller erblickte zwischen dem 7. und dem 10. Mai 1944 das Licht der Welt – und überlebte. Das genaue Geburtsdatum konnten die zwölf in ihrem Versteck Lebenden allerdings nicht benennen. Wenige Wochen später wurde das Gebiet von der Roten Armee befreit. 

Zusammen mit Roman gelangten seine Eltern in das Lager Freimann für Displaced Persons  in der amerikanischen Zone. Ihr Plan war, von dort in die USA zu emigrieren. Niemand wollte bleiben, denn es war ein Leben auf gepackten Koffern. Die amerikanischen Behörden stellten der Familie ein Visum für Cincinnati, Ohio, aus. Doch die Entschlossenheit, auszuwandern, nahm von Tag zu Tag ab. Zweifel ergriffen Romans Eltern: Man war der englischen Sprache nicht mächtig. Wie sollte die Familie bei der schlechten gesundheitlichen Verfassung die Überfahrt schaffen? Und überhaupt – wie würde das Leben dort drüben sein? Manche von uns werden diese Zweifel kennen. So blieb man. Damit das Visum aber nicht auslief, schob die Familie eine vermeintliche Krankheit Romans als Begründung für die Verzögerung der Auswanderung vor. Ein Arzt schrieb ein Attest und Roman wurde eingebläut, immer dann aufzuschreien, wenn der Arzt auf eine bestimmte Stelle am Körper drückte. Romans Familie blieb auf gepackten Koffern sitzen. 

Wenige Jahre später suchten und fanden Romans Eltern Major Eduard Rügemer und holten ihn von Nürnberg nach München, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1955 zusammen mit der Familie Haller lebte. Der kleine Roman nannte ihn „Zeyde“, Jiddisch für Opa. Die Jahre vergingen und eines Tages in den 80ern des 20. Jahrhunderts erhielt Roman einen Brief von einem Rabbiner aus Kalifornien, der ihn fragte, ob er der Roman Haller sei, der als jüdisches Baby aus einem Wald befreit wurde. Es stellte sich heraus, dass der Brief von Irena Gut stammte, die versucht hatte, die dreizehn Überlebenden von damals ausfindig zu machen. Irena schrieb ein Buch mit dem Titel „In My Hands: Memories of a Holocaust Rescuer“, das das Schicksal der durch sie geretteten Juden beschrieb. Auf Grundlage des Buches wurde ein Theaterstück produziert, das im Jahre 2009 am Broadway in New York unter dem Titel „Irena’s Vow“ – Irenas Schwur – uraufgeführt wurde. 2023 wurde “Irena’s Vow” auch verfilmt. Irena Gut erhielt von der nationalen israelischen Holocaust Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem die Ehrung als Gerechte unter den Völkern. Im Rückblick erzählte Irena, die Liebesbeziehung mit dem Major sei sie deshalb eingegangen, um die Möglichkeit zu erhalten, Menschenleben zu retten. 

Heute lebt Roman Haller in München. Er war Direktor der Claims Conference Nachfolgeorganisation, die sich für die Restitution des von den Nazis eingezogenen Vermögens einsetzt.